KRITIK: Er ist nicht tot zu kriegen: Der Mythos von der Heldenreise. Ist es nicht unglaublich, dass am Ende alles gut werden soll? Warum sollen wir uns einlullen lassen? Wenn nicht alles gut wird, ist es dann noch nicht das Ende?
„Genau jetzt ist starke Führung im Wandel gefragt, die mit einer guten ‚Change-Story‘ die Handlungsnotwendigkeit an alle kommuniziert“, meint Autorin Julia Molt (Wenn Sozialunternehmen wachsen). „Storytelling ist ein wichtiges Instrument, um die Deutungshoheit über die Change-Maßnahmen im Wachstum zu behalten.“ Geht es noch platter? Noch dreister? Die Autorin rät also, die Mitarbeiterinnen zu manipulieren. Denn es gelte, einer brodelnden Gerüchteküche im Flurfunk vorzubeugen. Deshalb sei es angebracht, das achtstufige Modell nach Kotter zu nutzen: Urgency! Erst mal Angst machen. Dann starke Beruhigungsmittel verteilen und flott die Nebelmaschine anwerfen …
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Ich bin wirklich fassungslos. Nicht nur aufgrund der Naivität und Dreistigkeit, die ich hier wahrnehme. Denn das Vorgehen widerspricht völlig dem Kenntnisstand systemischer Organisationsentwicklung. Wenn der „Change“ dann doch nicht klappt, wird man anschließend von Widerstand (Grober Unfug) fabulieren, den es zu brechen gelte. So wird man schließlich auch noch die letzten wohlgesonnen Mitarbeiter auf die Palme bringen und das Projekt mit Karacho gegen die Wand fahren.
Ich bin auch fassungslos, weil diese Töne doch völlig dem Tenor der Zeitschrift Organisationsentwicklung widersprechen. Schon im Jahr 2006 hatten hier Gerkhardt und Frey (Erfolgsfaktoren und psychologische Hintergründe in Veränderungsprozessen) mit dem Kotter-Modell abgerechnet. Kann die Redaktion das schon wieder vergessen haben? Sie hat diesen Beitrag im Jubiläumsheft Ende 2021 doch als „Evergreen“ geadelt. Was das langjährige Redaktionsmitglied Martin J. Eppler hier im aktuellen Heft zum Thema „Change-Kurve“ zum Besten gibt (Die Plotkurve), ist leider bloß Berater-Latein. Er könnte sich auf Aristoteles und dessen Drama-Schema berufen: Doch eine Veröffentlichung in „seiner“ Zeitschrift aus dem Jahr 2012 (Die Veränderungskurve – Ein Berater-Mythos) hätte ihn nachdenklich machen und – vor allem – eines Besseren belehren können.
Aber zurück zur Autorin Julia Molt: „In jeder guten Geschichte gibt es einen Bösewicht, einen Antagonisten. Damit sollte eine Change-Story beginnen. Der Bösewicht ist zum Beispiel die Gefahr, die entsteht, wenn das Sozialunternehmen nicht weiterwächst. Die Organisation und ihre Mitarbeitenden sind die Helden, die den Bösewicht bezwingen können.“ Ist das Management by Kasperle-Theater? Hat nicht Dirk Baecker schon vor 30 Jahren das Zeitalter des Postheroischen Managments ausgerufen? Glauben Berater wie Autorin Molt immer noch die Ammenmärchen von vor 100 Jahren – die vom Great Man? Und meinen sie, heutzutage glaubten Mitarbeitende ebenfalls noch solche Märchen? Es mag da eine tiefe Sehnsucht nach Erlösung durch Superkräfte geben, das will ich nicht abstreiten, doch sollte man die Leute nicht für dumm verkaufen. Sie durchschauen doch den Schmu der Heldenreise und denken sich ihren Teil. Und die toll ausgedachten Change-Stories, die laufen dann in eine ganz andere Richtung.