PRAXIS: Der Coachee kommt mit einem Problem, der Coach analysiert gemeinsam mit ihm die Situation und das dysfunktionale Verhalten, aber alle Erkenntnis hilft nicht wirklich weiter. Entscheidend ist, das „störende“ Lebensthema zu verstehen und zu „konterkarieren“. Wie, das verrät Roland Kopp-Wichmann in der managerSeminare (Das Delegationsdilemma).
Er zeigt es eindrucksvoll am Beispiel einer Führungskraft, die sich schwer tut, Aufgaben an ihre Mitarbeiter zu delegieren. Die üblichen Erklärungen erscheinen sinnvoll (zu perfektionistisch, will keine Kontrolle abgeben, glaubt, dass es ihr niemand recht machen kann usw.), aber helfen ihr nicht. Erst das tiefe Eintauchen in ihre Biografie führt auf die richtige Spur. Dort finden sich nämlich die „Lebensthemen“, das sind starke und meist unbewusste Glaubenssätze, die tief verankert sind und sich in den ersten 10 bis 12 Jahren herausgebildet haben.
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In diesem Fall stoßen Coach und Coachee auf drei mögliche Themen. Die Führungskraft ist auf dem Dorf aufgewachsen und hat gelernt, dass man bestimmte Dinge nicht macht („Was sollen denn die Leute denken?“), das Thema lautet: „Mach es allen recht!“, was dazu führt, die Mitarbeiter lieber nicht mit den Aufgaben zu belasten. Aber der Coach schaut genauer hin und erfährt, dass es einen Bruder gibt, auf den man sich nicht verlassen konnte. Mögliches Lebensthema: „Vertrauen niemandem!“ – was auch die Delegationsschwierigkeiten erklären könnte.
Tiefere Ursachen
Und schließlich stellt sich heraus, dass die Familie in dem Dorf als Flüchtlinge nie wirklich akzeptiert wurden und sich die Eltern immer als Fremde fühlten. Auch das könnte ein Thema sein: Ich bin als Führungskraft nicht akzeptiert, gehöre nicht dazu und kann deshalb auch nichts von anderen verlangen.
Und siehe da: Auf die Frage: „Fühlen Sie sich denn in der Abteilung zugehörig?“ reagiert die Führungskraft sehr emotional. Das dysfunktionale Thema ist gefunden, nun gilt es, ihm entgegen zu wirken. Dies funktioniert am besten, indem in einem Zustand der Achtsamkeit eine dem Thema konträre Affirmation formuliert wird. Der Coachee setzt sich bequem hin, schließt die Augen und versucht, seinen Körper wahrzunehmen, zu spüren, wie er sich fühlt und nimmt Gedanken wahr, ohne sie weiter zu verfolgen.
Dann wird der entsprechende konträre Satz gesagt, hier also: „Ich gehöre hierher!“ Er löst mit Sicherheit erst einmal Widerstand aus, aber in dem entspannten Zustand bei mehrfacher Wiederholung zeigt er seine Wirkung.
12 typische Lebensthemen
Es gibt zum Glück nicht unendlich viele Lebensthemen, weil die Erfahrungen in der Kindheit sich ähneln. Roland Kopp-Wichmann beschreibt 12 Themen, ihre Herkunft sowie die dazu konträren Affirmationen:
- Ich opfere mich für andere auf – Grund: Überzeugung, keine Daseinsberechtigung zu haben. Affirmation: „Ich darf hier sein!“
- Ich kann Anerkennung nicht annehmen – Grund: Überzeugung, diese nicht verdient zu haben, nicht wichtig zu sein. Affirmation: „Ich bin wichtig!“
- Ich ziehe mich schnell zurück – Grund: Überzeugung, anders zu sein und nicht dazu zu gehören. Affirmation: „Ich gehöre hierher!“
- Ich darf meinen Erfolg nicht genießen – Grund: Überzeugung, nicht erfolgreich sein zu dürfen. Affirmation: „Ich darf erfolgreich sein!“
- Kritik kränkt mich, die Fehler liegen bei anderen – Grund: Überzeugung, etwas Besonderes zu sein. Affirmation: „Ich darf ganz normal sein!“
- Ich muss es anderen recht machen – Grund: Überzeugung, dass die eigenen Bedürfnisse nicht wichtig sind. Affirmation: „Ich kann gut für mich selbst sorgen!“
- Ich sehe mich besonders kritisch – Grund: Überzeugung, immer funktionieren zu müssen. Affirmation: „Ich darf zufrieden sein!“
- Ich muss mich anpassen und darf mich nicht durchsetzen – Grund: Überzeugung, nicht erwachsen zu sein. Affirmation: „Ich bin erwachsen!“
- Ich muss meine negativen Emotionen kontrollieren – Grund: Überzeugung, Ärger nicht zeigen zu dürfen. Affirmation: „Ich muss nicht immer nett sein!“
- Ich darf mein Können nicht zeigen – Grund: Überzeugung, nicht besser als andere sein zu dürfen. Affirmation: „Ich darf besser als andere sein!“
- Ich ziehe bei Rückschlägen gleich alles in Zweifel – Grund: Überzeugung, dass Schwäche gleich Versagen bedeutet. Affirmation: „Ich muss nicht immer stark sein!“
- Ich muss meine Gefühle ausblenden – Überzeugung, dass sich „Gefühle nicht gehören“. Affirmation: „Alle meine Gefühle sind in Ordnung!“
Ob das kritische Lebensthema gefunden wurde, erkennt der Coach auch an der starken Reaktion, wenn der Coachee zum ersten Mal die jeweilige Affirmation ausspricht – eben weil sie der Überzeugung diametral gegenüber steht.