6. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Sechs Monate ohne

INSPIRATION: Ob Sie nun Führungskraft sind oder „nur“ Mitarbeiter, Sie werden sich die Situation vorstellen können: Die Leitung einer Abteilung taucht ein halbes Jahr ab und überlässt das Team sich selbst. Kann das gut gehen? Die Leiterin der Personalentwicklung bei Comdirect riskierte es und berichtet von ihren Erlebnissen im Personalmagazin (Ein Experiment ohne zurück).

Man kann sich schon vorstellen, wie es zu diesem Experiment kam. Alle Welt redet von selbstorganisierten Teams, da liegt es nahe, wenn der Personalentwicklungsbereich den ersten Schritt tut und am eigenen Leib testet, wie das funktionieren kann. Offenbar hat man die Personalleitung von dem Versuch überzeugt. Aber bevor es losging, fanden Teamworkshops und ein Planungsworkshop mit der Gesamtleitung statt, wo die Regelungen während der Abwesenheit der Leiterin ausgestaltet wurden.


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Kick-off mit Teamworkshops

Dabei klammerte man disziplinarische Führungsaufgaben wie Mitarbeitergespräche und „Eskalationsszenarien“ aus. Hier sollte die Personalleitung hinzugezogen werden. Alle anderen Aufgaben der Führungskraft wurden wohl in diesen Workshop unter den Teammitgliedern verteilt. Es findet sich zwar kein Hinweis in dem Beitrag darüber, ob die Führungskraft dabei anwesend war – aber wenn ja, dann hätte ich hier das erste Mal Bauchschmerzen. Selbstorganisation bedeutet, dass solche Vereinbarungen tatsächlich in dem Team getroffen werden, das nachher auch die Aufgaben übernimmt. Mischt sich die Führungskraft hier ein, zeugt das erstens von wenig Vertrauen und legt zum anderen schon den Grundstock für spätere Konflikte nach dem Motto: „Das war ja der Wunsch unseres Chefs!“

Eine der Regelungen sah so aus, dass eine neue Rolle, die des „Routers“, etabliert wurde. Die Idee: Externe und interne Kunden und Dienstleister benötigen einen Ansprechpartner, ebenso natürlich die Personalleitung. Also braucht man jemanden, an den sich diese direkt wenden können. Es wird nicht beschrieben, wie man die Rolle besetzte. Aber selbst wenn es eine Art Teamwahl gab, ist hier der Krach schon vorprogrammiert. Was auch genauso offenbar passierte. Denn bei den Erfahrungen am Ende heißt es, dass diese Rolle „als gesetzte Führung seitens der Führungskraft empfunden und abgelehnt wurde.“

Akzeptanzprobleme

Wie blauäugig war das denn? Die Autorin spricht davon, dass es naiv war anzunehmen, dass es eine „führungslose Selbstorganisation, bei der alle Teammitglieder gleichberechtigt auf Augenhöhe miteinander zusammenarbeiten,“ geben könnte. Natürlich nicht, wenn man als erstes einen Ansprechpartner für die Gesamtleitung etabliert – welch statusträchtige Rolle! Und sich dann wundert, wenn die Person Akzeptanzprobleme kriegt.

Womit schon eine der Schwierigkeiten deutlich wird: Ein solches Experiment findet nicht im isolierten Raum statt, sondern ist eingebettet in die bestehende Struktur. Und wenn hier die Forderung kommt, „Wir, die Leitung, benötigen eine Person, an die wir unsere Anfragen richten und die dafür zuständig ist, dass wir immer zügig unsere Antworten kriegen!“, dann wird ein Team wohl nicht anders können, als eine solche Position zu schaffen. Statt z.B. zu sagen: „Bei uns können Sie jeden anrufen: Entweder derjenige weiß die Antwort oder er weiß, welcher Kollege sich auskennt.“

Alternativen

Dass es auch anders geht mit der Außenvertretung zeigte sich an anderer Stelle. Beim Jour fixe der Führungskräfte in der Personalabteilung rollierten die Teilnehmer des Teams. Das fanden die anderen Führungskräfte zuerst irritierend, aber sie gewöhnten sich dran, und siehe da, die Regel „erwies sich als ausgesprochen fruchtbar und funktonal.“

Noch eine höchst sinnvolle Maßnahme: Das Team erhielt ein Budget für Teammaßnahmen, und siehe da: Es nutzte dieses für eine regelmäßige Supervision, das war wohl ein ziemlich entscheidender Erfolgsfaktor. Das Fazit der Teammitglieder fiel insgesamt positiv aus. Offenbar erlebte man eine hohe „Selbstwirksamkeit“ und gegenseitige Unterstützung, die subjektive Belastung nahm ab. Und man meisterte die Aufgaben vollkommen eigenständig.

Die überflüssige Führungskraft

Wer hatte schließlich das größte Problem? Die Führungskraft bei ihrer Rückkehr. Sie fühlte sich von „ihrem“ Team abgeschnitten, diesem war die Selbstorganisation „lieb gewordene Realität geworden.“ Es wollte den Freiraum und die Eigenverantwortung beibehalten. Kurz gesagt: Die Führungskraft war überflüssig geworden, auch wenn es wohl Teammitglieder gab, die sich ihre Chefin zurückwünschten. Man raufte sich so weit zusammen, dass man das Experiment noch gemeinsam auswertete. Inzwischen hat die Autorin einen anderen Job, und der Bereich anscheinend auch eine neue Leitung.

Die von der Autorin beschriebenen Schlussfolgerungen klingen so:

  • Wenn man eine solch selbstorganisierte Einheit etabliert, dann braucht diese Zugang zu allen relevanten Informationen, und das bedeutet: Die Unternehmensleitung muss einen Vertrauensvorschuss geben (den sie ansonsten maximal den Führungskräften gewährt). Da sind wir erst mal nicht wirklich überrascht.
  • Selbstorganisation passt nicht zu jeder Aufgabe. Es muss vor allem ein gemeinsames Ziel existieren, was hier nicht der Fall war. Offenbar hat ein Teil des Teams Aufgaben zu erfüllen, die den Rest nicht sonderlich betreffen.
    Die Konsequenz wäre meines Erachtens dann aber, dass man sich über die Zusammensetzung und Zielsetzung des Teams Gedanken macht.
  • Die Mitglieder müssen selbst organisiert arbeiten wollen und auch fachlich kompetent sein. Eine Forderung, die mich immer wieder umhaut. Müssen Mitarbeiter in hierarchischen Organisationen nicht fachlich kompetent sein?
  • Es braucht auch in solchen Teams Führung, nur eben anders. Mehr im Sinne von Moderation, Entwicklung und Coaching. Einverstanden, wenn man sich auf diese Definition von Führung einigt.
  • Als Überbrückung einer zeitlich befristeten Auszeit eignet sich das Modell weniger. Na klar, weil danach der Chef verloren und einsam herumläuft und nicht mehr gebraucht wird. Wie auch, wenn es monatelang ohne ihn geklappt hat.

Alles in allem ein anschaulicher und offener Erfahrungsbericht, aus dem man durchaus interessante Rückschlüsse ziehen kann.

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