KRITIK: Ist das nicht ein alter Albtraum: Dass Maschinen Menschen führen? Da sträubt sich was – so ganz tief. Aber – Hand aufs Herz – sind wir Menschen nicht immer schon abhängig von Gewalten außerhalb unserer Einflusssphäre?
Man nenne es Schicksal. Oder: Natur. Vielleicht auch Kultur. Oder eben Maschine. Man schaue sich nur einmal die berühmte Factory-Szene aus Charlie Chaplins Film Modern Times an: Das unerbittliche Fließband! Wie brutal es den Industriesklaven in seinen Takt zwingt: Die Geister, die ich rief … (Besen, Besen! Seid‘s gewesen!).
Maschinen und ihre Stürmer
Aber sie haben natürlich auch Segen gebracht, die Maschinen. Als Windmühle, als Webstuhl … Ok, die Weber fanden das nicht so toll … Die Sätzer bei der Einführung des Desktop-Publishings auch nicht. Gerade erst las ich eine Reportage, die einen solchen Menschen porträtiert: Er ist heute S-Bahn-Zugführer.
Also jetzt: KI: Mein Eindruck, womit ich ja bislang nicht hinterm Berg gehalten habe: Da wird dermaßen übertrieben und geprotzt – dass sich die Balken biegen. Constantin Gillies (Algorithmic Leadership) adelt und vernebelt das Thema zugleich: KI übernimmt Führung. Erster Gewährsmann: Niels Van Quaquebeke, Professor an der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg. Von ihm hat man schon Visionäres gelesen (Keine Grenzen mehr). Zuletzt hat Fabiola Gerpott ins gleiche Horn geblasen (Nix Pathie): Weil Führungskräfte offensichtlich nicht führen können, sei es vielleicht besser, man delegiere den Job gleich an eine KI …
Personaleinsatzplanung
Autor Gillies argumentiert weniger radikal. KI macht die Personaleinsatzplanung – bei Uber, Delivero & Co. Nun denn, könnte man kommentieren. Wo ist das Problem, wenn wir uns nicht gleich über prekäre Arbeit (Gig-Work – eine Verzweiflungstat?) unterhalten wollen? Sagen wir mal so: Wenn Führungskräfte und HRler es nicht auf die Kette bekommen – vielleicht sollte man mal mit einer Excel-Schulung beginnen? … Immerhin ist das Thema doch schon seit den 1990ern auf dem Tisch, an mangelnder Vorbereitung kann es nicht gelegen haben. Und es gibt doch auch längst Apps, mit denen die Mitarbeitenden selbst die Personaleinsatzplanung managen können (Jenseits des Büros). So what? Es braucht also offensichtlich KI, damit „die da oben“ glücklich sind.
Was für ein Armutszeugnis! Und was hat das mit Führung zu tun? Gute Frage … nächstes Thema: Recruiting. KI kann Bewerbungen sortieren. Wow! Und nach welchen Kriterien? Der Autor bleibt die Frage schuldig. Ich könnte zum x-ten Male auf die DIN 33430 verweisen … Doch KI braucht keine Norm; sie ist doch per se intelligent, dämmert mir. Wirklich? Ist sie natürlich nicht (Kapitulation vor der KI?). Aber will das jemand hören in diesem Theater?
Wenn Van Quaquebeke meint, „Wir müssen uns von der romantischen Vorstellung verabschieden, dass Führung die letzte Bastion des Menschen bleibt,“ muss man ihm einerseits zustimmen. Andererseits steht die Frage im Raum: Was ist denn Führung? Personaleinsatzplanung? Oder mehr? Und die Frage ist doch wirklich wichtig zu klären, wenn sich da der KI-Copilot auf den Fahrersitz drängelt.
Führung
Wir müssen nicht lange warten, bis wir den Offenbarungseid vernehmen können: „Der große Vorteil maschineller Führung: Sie lässt sich beliebig skalieren, der alte Flaschenhals Zeit verschwindet.“ Da ist er also, der alte Traum von Gerry & The Pacemakers: You’ll Never Walk Alone: Du spürst den heißen Atem der Maschine im Nacken … „Gut trainierte Chatbots passen zudem ihre Sprache an ihren Gesprächspartner an und sorgen mit geschickter Rhetorik für Zusammenhalt und Motivation …“. Ehrlich gesagt: Ich kann gut auf dich verzichten, Big Brother!
Und noch so ein Märchen: „Gerechtigkeit statt Bauchgefühl“. Die Wirtschaftspsychologie unterscheidet drei Arten von Gerechtigkeit: Prozedurale Gerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, Vergeltungsgerechtigkeit – wovon wollen wir reden? – Und Bauchgefühl? Könnte man wunderbar unter Heuristiken (Daumenregeln) wertschätzen (Und wer bringt den Müll raus?). Überhaupt: Hat KI etwa kein Bauchgefühl? Reproduziert sie nicht alte Vorurteile, die ihre Trainer ihr eingeimpft haben (Topf oder Deckel)?
Beziehung
Der Autor wagt sich noch weiter aufs Glatteis hinaus: „Führung ist in Zukunft kein Prozess, sondern ein Beziehungssystem,“ zitiert er einen IBM-Experten. Also erstens war das immer schon so. Und zweitens ist das anspruchsvoll (Spotlight auf einen blinden Fleck). Zu anspruchsvoll für eine KI. Denn Jan Bleckwedel benennt in seinem Buch vier Dimensionen der Beziehungsgestaltung: leiblich, emotional, kooperativ und kommunikativ. Da muss KI blank ziehen: Sie ist körperlos, heimatlos, emotionslos und intentionslos („The Map is not the Territory“).
Warum sollten wir ihr vertrauen? Warum sollten wir ihr als Führungskraft folgen? Autor Jens Nachtwei, ebenfalls Arbeits- und Organisationspsychologe, bietet seiner Leserschaft folgendes Gedankenexperiment an: „Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Kindertagesstätte, die vollständig von KI-gesteuerten Robotern betrieben wird (…). Würden Sie ihr Kind dort abgeben?“ (Wo die Musik spielt).
Autor Constantin Gillies (Algorithmic Leadership), der viele Fragen offenlässt (Ethik, Datenschutz etc.), relativiert zum Schluss sein Szenario: „Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass digitale Führungskräfte mit einem Schlag die Macht übernehmen.“ Was soll das: Erst den Popanz aufblasen, und dann zum Schluss schnell die Luft wieder rauslassen? Angstlustdramaturgie, wie im schlechten Tatort. Danach geht’s dann zum Matratzenhorchdienst. Und Morgen ist dann ein neuer Tag, ein Montag: Wieder fünf Tage bis zum Wochenende …