6. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Hände weg von der Wäsche!

INSPIRATION: Die Datafizierung der Arbeitswelt erzeugt ein Überwachungsklima in Unternehmen. Und das hat Folgen. Die Mitarbeitenden sind verstimmt. Das kann man gut verstehen. Warum bloß sind Unternehmen so naiv, oder wie sonst soll man sich das erklären?

Die Beiträge von Antoinette Weibel lese ich immer mit großer Aufmerksamkeit. Ich finde nicht alle gelungen, aber die meisten. Was sie hier mit Kolleg:innen auf den Punkt bringt (Vertrauen aktiv managen), ist mal wieder ein wichtiger Zwischenruf. Es geht darum, dass Unternehmen heute auf Unmengen an Daten zugreifen können, mit denen das Verhalten der Mitarbeiter erfasst werden kann. Das ist mittels moderner IT-Technologie dermaßen pingelig, detailliert, umfassend, der alte Frederik Taylor hätte seine wahre Freude daran gehabt. Er soll seinerzeit gesagt haben, es sind gerade einmal hundert Jahre her: „Ich wollte immer nur zwei Hände, aber es kam ein ganzer Mensch.“


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Der Mensch ist gegenüber einer Maschine einfach insuffizient. Er wird müde, stört, hat eigene Ideen. Man schaue sich nur die Factory-Scene aus Charlie Chaplins Film Modern Times an. Dann sagen aber so einige Schlauberger, na ja, diese Zeiten sind doch längst vergangen. Nein, sagen andere Autoren, sie waren nie vergangen, aber heute kommen sie mit Macht, subtiler und vermutlich effizienter zurück: mittels vibrierender Armbänder, Pupillentracking und Push-Nachrichten (Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt). Die Autor:innen leisten hier also nicht den ersten Zwischenruf zum Thema (Digitale Strippenzieher). Aber der ihrige ist doch ein prominenter. Und es bleibt nicht bei der Kritik, es werden auch konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht.

Die Argumente

„Datafizierungstechnologien finden in nahezu allen Phasen des Mitarbeiterlebenszyklus Anwendung.“ Ein erstes Beispiel: Unter der Hand entsteht ein Bild der Mitarbeiter-Netzwerke. Wer mit wem, wann, wie lange und worüber in Kontakt war. Damit kann man arbeiten und diverse Rückschlüsse, aber auch Prognosen für die Zukunft stellen. Die Mitarbeitenden haben zumeist keine Ahnung, was da möglich ist, und ahnen auch kaum, zu welchem Zweck. Was aber auf jeden Fall entsteht, ist Misstrauen. Und das ist Gift fürs Organisationsklima.

Es wird schlicht in die Autonomie der Menschen eingegriffen. Und das ist immer kritisch und erklärungsbedürftig. Denn wie heißt es so schön in Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das Fazit der Autor:innen ist daher auch mehr als deutlich: „Technologischer Fortschritt am Arbeitsplatz wird zum Rückschritt für Mitarbeitende – es sei denn, HR springt beherzt in die Rolle als aktive Vertrauensvermittlerin.“ Denn die Technologie, erst recht, wenn es um den Einsatz von KI geht, ist eine Blackbox. Zudem wird sie unter der Hand ständig weiterentwickelt. Und drittens entwickelt sie eine weitreichende Steuerungswirkung. Es ist nicht paranoid, wenn Mitarbeitende sich nackt und ungeschützt, also verletzlich fühlen – als Rädchen im Getriebe. Im Gegenteil: Solche Ängste sind gut begründet.

Führung übernehmen

„Unternehmen, die das Vertrauen inmitten dieser fundamentalen Unsicherheit bewahren möchten, müssen Vorleistungen erbringen: es sind sowohl symbolische/kulturelle Arbeit als auch substanzielle Strukturreformen nötig.“ Auf der symbolischen Ebene ist es wichtig, dass der Arbeitgeber signalisiert, dass er das Vertrauen der Mitarbeitenden nicht missbrauchen wird. Dass er ihnen nicht „an die Wäsche gehen“ wird. Auf der Strukturebene sind konkrete Maßnahmen gefordert. Insbesondere in den Bereichen Entscheidungsstrukturen, Prozesse, Verantwortlichkeiten und Rollenzuweisungen (Partizipation, Schulungen, Ombudsstellen, Ethikbeiräte etc.). Die Autoren geben der Leserschaft eine sogenannte Heatmap als Diskussionsgrundlage an die Hand.

Ein New Deal wird nötig

„Datafizierungstechnologien können, wie bereits dargelegt, ‚übergriffig‘ werden, sich täuschen oder einfach nicht adäquate Aufgaben übernehmen.“ Es braucht Führung. Und zwar verantwortungsvolle. Es muss klar sein, wer „Herr im Haus“ ist, dass die Technologie dem Menschen dienen soll – und nicht umgekehrt. Daher braucht es Transparenz, Partizipation und Opt-out-Optionen. Ein konkretes Beispiel, das die Autorinnen und Autoren bringen: Novartis misst beispielsweise die Aktivitäten der Mitarbeitenden im Homeoffice. Aber nur auf freiwilliger Basis. Und: „Die Daten werden nur auf Teamebene ausgewertet und dienen lediglich der Weiterentwicklung eines Hybridarbeitsmodells.“ Nicht nur HR, auch Mitbestimmungsgremien müssen sich folglich dringend aufschlauen. Die Vertrauenskrise kann – und muss – gemeistert werden. Vertrauen ist schnell verspielt. Maschinenstürmerei braucht es nicht. Aber Verantwortungsübernahme.

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