21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Die (fast) perfekte Organisation

REZENSION: Christina Grubendorfer / Christina Ackermann – The Real Book Of Work. Organisationen in Not. Warum wir umdenken müssen, um sie in die Zukunft zu führen. Vahlen 2023.

Der Titel weckt zunächst ultimative Erwartungen. Die allerdings im Intro sogleich relativiert werden: „Real Books“ seien Nachschlagewerke der Jazzpraxis. Na, denke ich – Jazz mag ich, und auskennen täte ich mich dort auch etwas. Das dicke Buch von Joachim-Ernst Behrendt steht selbstverständlich auch in meinem Regal. Hier nun ein – nicht ganz so dickes, aber immerhin mit knappen 400 Seiten auch nicht schlank zu nennendes – Buch zum Thema Organisationen.


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Ein „Aufklärungsbuch“ wird der Leserschaft (Führungskräften) versprochen. Na ja, ein Ratgeber, so wird dann alsbald relativiert, theoretisch fundiert und humoristisch illustriert, erwartet mich. Die Erstautorin ist mir schon positiv aufgefallen (Du sollst nicht an der Unternehmenskultur schrauben). Die Zweitautorin steuert zum lockeren Text die gleichfalls lockere Graphic Novel, so eine Art Comic-Strip, bei.

Das Buch hat fünf Teile. Nach einem erfrischenden Vorwort vom Altmeister und Mentor Fritz B. Simon und dem eigenen Intro nimmt Teil 2 neun moderne Management-Mythen in den Blick. Hier handelt es sich erklärtermaßen um das Herzstück des Buchs. Von New Work über Agilität, Mindset, Silos, Eigenverantwortung, den „ganzen“ Menschen, Hierarchie, schreienden Chefs bis zum Thema Kultur spannt sich so der Bogen. Immer im gleichen Dreischritt exekutiert: Inszenierung – Entmystifizierung – Konsequenzen und Tipps für Führungskräfte.

Moderne Management-Mythen

All das liest sich recht kurzweilig und bringt die Kritik an den aktuellen Management-Moden grundsätzlich und knackig auf den Punkt. Mal ein Beispiel: „Arbeit soll sich nicht wie eine Krankheit anfühlen,“ heißt es da. New Work sei zum Containerbegriff verkommen. Völlig verwässert und für allerlei Zwecke müsse es herhalten. Dem mag man sich anschließen. Und so lautet auch die Diagnose des „New-Work-Papstes“ hierzulande (Die Mühen der Ebene). Der Begriff New Work sei allerdings moralisierend. Und deshalb eine große Heuchelei: „New-Work-Projekte dienen nicht selten allein der Zurschaustellung vermeintlicher Modernität als Arbeitgeber.“ New Work als Trostplaster.

Da kann man grundsätzlich mitgehen. Doch man hätte das auch noch deutlich differenzierter darlegen können – wie das in etlichen Beiträgen, die wir besprochen haben, geschieht (Ich war noch niemals in New Work). Der Text der Buchautorinnen kommt hingegen ohne Quellenangaben aus. Anyway – Führungskräfte sollte es immerhin nachdenklich machen können.

200 Seiten später fragt Teil 3 als Zwischenfazit, was nach der Entmystifizierung bleibe. Die Erkenntnis ist schlicht, aber einleuchtend: Es gibt sie nicht die perfekte Organisation. Auch wenn es der Menschheit immer wieder versprochen würde. Das ist also die tiefe Botschaft des Buchs.

Tauchgänge

Als Teil 4 folgen acht sogenannte Short Dives in die Welt der Organisationen. Dieser Teil, angekündigt als theoretische Vertiefungen, hat mich nicht überzeugen können. Das liegt einerseits daran, dass mir diese Tauchgänge nicht tief genug waren. Da lobe ich mir stattdessen das Kinderbuch Der tiefe Tauch von Herrn und Frau Smith (1981), das es heute leider nur noch antiquarisch gibt.

Andererseits liegt es an der theoretischen Einseitigkeit. Die soziologische Systemtheorie in der Tradition von Niklas Luhmann, die meint, den Menschen aus Organisationen ausklammern zu können, erachte ich als diejenige Krankheit, für deren Therapie sie sich hält (um den Aphorismus zur Psychoanalyse von Karl Kraus aufzugreifen). Mit dieser wohlbegründeten Meinung stehe ich nicht allein da, wie die Kontroverse von Fritz B. Simon und Jürgen Kriz (Der Streit ums systemische Nadelöhr) zeigt. Wenn ich auch sehe, dass die Luhmannschen Lehren sich in der Businesswelt großer Aufmerksamkeit erfreuen. – Vielleicht auch, weil sie so überraschend kontraintuitiv bis kryptisch herausposaunt werden? Da mag sich gar mancher schnell wegducken, um nicht als ungelehrt oder gar verstockt zu erscheinen. Grubendorfer und Ackermann jedenfalls haben sich hier klar als Luhmann-Schülerinnen positioniert. Ich hingegen ziehe den Ansatz von Jürgen Kriz (Ganzheitliche Psychologie) vor.

Der letzte, fünfte Teil des Buchs handelt von Führung. Die Autorinnen definieren sie als „das Darübernachdenken, wie das eigene Unternehmen funktioniert, wie es der eigenen Organisation geht und ob das mit Blick in die vermutete Zukunft so bleiben kann.“ Das nennen sie Führung zweiter Ordnung: Führung am System – im Gegensatz zu Führen erster Ordnung: Führung im System. Es werden sodann acht sogenannte Denkwerkzeuge präsentiert – von Wirklichkeitskonstruktionen bis soziale vs. psychische Systeme. Es folgt eine Anleitung zum organisationalen Prototyping (Veränderungs-Framework) sowie ein Leitfaden und Prinzipien für die Arbeit an der Organisation.

Die Bilanz

So fällt mein Fazit durchwachsen aus: Während im Mythen-Teil recht erfrischend aktuelle Managementmoden auseinandergenommen werden, konnte ich dem „Theorieteil“ weniger abgewinnen. Irritiert nahm ich einen Stickerbogen mit karikierenden Aufklebern zur Kenntnis, der plötzlich aus dem Buch purzelte. Das erinnerte mich an meine frühe Jugend und wollte für mich nicht so recht zum Thema Management passen. Zudem liegt dem Buch ein kleiner Werbeflyer bei, der auf Weiterbildungen der Autorinnen aufmerksam machen möchte. So erinnere ich mich an ein Zitat von Klaus Eidenschink, welches die Autorinnen unter dem Stichwort Danksagungen kolportieren: Die Sorge, dass die Autorinnen „auf der anderen Seite vom Pferd fallen“ könnten. Der Sorge würde ich mich anschließen wollen.

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