16. September 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Schief gewickelt?

KRITIK: Manchmal frage ich mich, in welchem Land ich lebe … Hierzulande werden Fragen gestellt, die mich schlicht fassungslos machen. Beispielsweise, ob sich Unternehmen in parteipolitische Kontroversen einmischen sollen.

Das kann doch keine Frage sein! Es gibt doch keinen politikfreien Raum. Und weil wir in einer Demokratie leben, ein Grundgesetz haben – und ein Betriebsverfassungsgesetz. Sowie weitere einschlägige Gesetze. Das ist doch eine sehr klare Lage. Oder? Und wenn da etwas schiefläuft, also der Grundlage unseres gemeinsamen (=politischen) Lebens widerspricht, wird es ungemütlich. Also für den, der gegen diese Grundlage – Gesetze, Governance, Compliance, CSR, Diversity et cetera – handelt. Er oder sie muss sich verantworten – oft vor Gericht.


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Jetzt mag man spitzfindig einwenden, es gehe nicht um Politik im Allgemeinen, es gehe speziell um Parteipolitik. Dabei möge man sich doch bitte schön zurückhalten. Das würde sonst nur Unfrieden bringen (Keine Politik bitte). Ich denke, genau das Gegenteil ist der Fall. Schweigen bringt keinen Frieden. Schweigen ist Wegducken, ist die Verweigerung der Verantwortung.

Es gibt keine einsamen Inseln

Jedes Unternehmen lebt in einem gesellschaftlichen Kontext, in einem Biotop. Wenn sich hier Rahmenbedingungen ändern (oder nicht geändert werden), betrifft das die Unternehmen spezifisch. Also die Eigentümer, die Kapitalgeber und die Mitarbeitenden. Alle müssen sich dem stellen, müssen sich mit der Lage auseinandersetzen und müssen Lösungen entwickeln. Die oft Kompromisse sein werden. Aber wer sich nicht positioniert, wer nicht mitdiskutiert und nicht an Lösungen bastelt, der lässt andere entscheiden (Politische Äußerungen).

Also, warum hebt das Personalmagazin aktuell das Thema HR und Rechtspopulismus auf das Cover? HR müsse etwas tun, so Autor Thomas Beschorner (HR steckt jetzt schon mittendrin), seines Zeichens renommierter Professor für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen. Aber er trumpft nicht so hart auf wie meine Wenigkeit, sondern baut lieber eine Brücke: „Wir leben in einer „schwindelerregenden Gesellschaft“, unter der der Boden wankt. Die 2020er-Jahre (und schon zuvor) haben massive soziale Gleichgewichtsstörungen. Und vielen Menschen ist dadurch schwindelig geworden.“ Und der Schwindel lockt halt die Schwindler an.

Und dann sorgt er für eine lustige Pointe, indem er Walter Eucken, einen Vordenker der sozialen Marktwirtschaft, zu Wort kommen lässt. Der sprach nämlich von der Trias der individuellen Freiheit, der demokratischen Ordnung und der sozialen Marktwirtschaft. Doch haben wir nicht gelernt, dass dreibeinige Hocker nicht wackeln können? Nun, sei‘s drum, ob er wackelt oder nicht. Ich habe kein Interesse daran, in einer stalinistischen Diktatur zu leben, die auf brutaler Gewalt basiert, auf Willkür und systematischer Erniedrigung, Homophobie und Sexismus. Punkt. Was wäre also zu tun? Was schlägt der Ethiker vor?

Sechs Handlungsfelder für Unternehmen

  1. Unternehmenswerte: Nur auf der Basis profunder Werte kann verantwortungsvolles Unternehmertum realisiert werden.
  2. Demokratische Werte: Sie sind der Kompass für eine Soziale Marktwirtschaft.
  3. Die Gestaltung von Geschäfts- und Stakeholderbeziehungen leiten sich von diesen Werten ab.
  4. Auch eine glaubwürdige und authentische Kommunikation nach außen ist ohne diese Werte nicht vorstellbar.
  5. Ein wirksames Unternehmensengagement lebt ebenfalls von diesen Werten.
  6. Maßnahmen innerhalb der eigenen Organisation leiten sich ebenfalls von diesen Werten ab.

Die Flughöhe des Ethikers ist schwindelerregend hoch. „Aus diesen sechs Handlungsarealen leiten sich zwar noch keine Maßnahmen ab.“ Tja … was soll ich sagen …? Zum Glück wird er doch noch ein wenig konkreter, indem er rät, „das Thema Rechtsextremismus nicht zu tabuisieren, sondern ihm stattdessen aktiv und konstruktiv zu begegnen. Wesentlich dafür ist die Entwicklung von Begegnungsformen und -formaten, die einen Austausch mit den Mitarbeitenden sowie der Mitarbeitenden untereinander ermöglichen.“

Verständnis für HR

Ich gestehe, das beeindruckt mich jetzt wenig – wenn ich ihm auch gar nicht widersprechen möchte. Doch zu dem richtigen Schluss hätte man auch schneller kommen können. Anders sieht es mit seinem Verständnis für zaghafte HR-Abteilungen aus: „Das Thema ist für Unternehmen neu, bewährte und eingeübte Praktiken gibt es kaum.“

Wie bitte? Ich halte das für ausgemachten Blödsinn! Wie wäre es mit einem Blick in die Geschichte? Schon zu Weimarer Zeiten gab es Widerstand. Und gab es nach dem 2. Weltkrieg nicht eine Persilscheinkampagne? Und dann die 68er-Studentenbewegung, der Radikalenerlass … Was ist mit der demokratischen Erziehung in Deutschland? Auch in den Unternehmen … Also auch der Blick in die Praxis sei empfohlen: Streiks, Schlichtungen, Tarifabschlüsse. Wieso soll das Thema Politik nun neu sein? Warum können wir vom renommierten Ethiker bloß eine „Landkarte des Handelns“ erben? Ich bin enttäuscht.

Konzernwelten

Gunnar Kilian, Personalvorstand der Volkswagen AG, schlägt im Interview andere Töne an („Unternehmen können politische Fieberkurven senken“). Im Februar 2024 hat VW in Wolfsburg zu einer Demonstration für Demokratie und Vielfalt aufgerufen. Da schau an, von wegen zaghaft … Doch auch er irritiert mich: „Fakt ist, dass wir keine politische Meinungsbildung betreiben. Dafür gibt es Parteien.“ Seltsame Einstellung. Ist es nicht so, dass Parteien bei der Willensbildung mitwirken (Art. 21 GG)? Also nur mitwirken – es gibt noch weitere Akteure: Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften … Und gibt es nicht legitime, politische Interessen, die Mitarbeitende im Unternehmen betreffen? Nicht, dass ich missverstanden werde: Ich denke als Alternative nicht an sozialistische Mobilisierung der Werktätigen und Klassenkampf. Aber über und mit dem Betriebsrat wird doch immer schon politisch agiert. „Wir wollen weder erziehen noch bevormunden,“ sagt der Personalvorstand.

Das will ich auch nicht. Aber Bildung und Diskussion will ich. Und die gibt es doch längst in Unternehmen rund um Themen wie Gesetze, Governance, Compliance, CSR, Diversity, Arbeitszeitmanagement, Altersversorgung, Energiepreise, Lieferketten et cetera – Was ist hier los? Reden wir von zweierlei?

Seltsame Berührungsängste?

Und jetzt spitze ich das einmal zu: Wenn eine Partei auf den Plan tritt, die Migration strikt verhindern will, wird das Konsequenzen haben. Für die Einzelnen, für die Unternehmen, für die Gesellschaft. Mitarbeitende sind Mitglieder von Unternehmen. Also geht es sie etwas an. Warum soll in Unternehmen nicht politisch diskutiert werden? Gerne auch darüber, ob eine Partei den oben genannten Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verlassen hat. – Und wer die Arbeit erledigen soll, wenn die Arbeitskräfte fehlen.

Ob solche Diskussionen in einem Konzern anders laufen als in KMU? Das wäre doch einmal eine spannende Frage – die im Interview nicht gestellt wurde. Treffen politische Entscheidungen kleinere Unternehmen mitunter härter, existenzieller als die großen? Also Volkswagen …, war da nicht mal etwas …?

Unverhoffter Retter

Vielleicht kommt (unerwartete) Hilfe von einer anderen Seite: Als großen Nachteil von agilem Arbeiten wurde mehrfach auf eine Politisierung des Arbeitsalltags hingewiesen – oder sogar gewarnt (Auf dem Holzweg). Politische Fragen schlagen in agilen Teams ganz anders auf als in Konzernen, viel direkter und unvermittelter. Das könnte doch auch von Vorteil sein. Dann werden die Themen da diskutiert, wo sie hingehören, auf den Shop Floor. Und damit wird sukzessive das ganze Unternehmen involviert. Das muss doch nicht schlecht sein: Basisdemokratie versus autoritärer Führerkult.

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Ein Gedanke zu “Schief gewickelt?

  1. Lieber Thomas,

    deine Kritik geht leider nicht weit genug: Natürlich ist es so, dass die Großkonzerne unserer Welt unsere Politik bestimmen. Den „Demos“ aus unserem Demokratieverständnis gab es noch nie – und wird es auch nie geben.

    Schau dir bitte die Entstehungsgeschichte der US-Verfassung an – schau dir die Macht der Lobbies an. Lies bitte Chomsky und Mausfeld.

    Zurück zum Thema: Das Großkapital hat 2007/2008 gewonnen – und warum sollen wir glauben, Klimaproblem lösen zu können? Blackrock & Co. haben andere Vorstellungen.

    Beste Grüße

    Rüdiger

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